Jan Haase von Greenpeace über KitKat, Kritiker & Kampagnen

Besonders erfreulich: Sogar die indonesische Regierung hat sich nun eingeschaltet und will gegen die Korruption im Palmölmarkt vorgehen. Die Kampagne hat also ihr Ziel erreicht und ich möchte Greenpeace an dieser Stelle ganz herzlich dazu gratulieren.

 

Dennoch wurde die Organisation von Einigen für die Kampagne im Fall Nestlé und auch für das generelle Vorgehen kritisiert. Ich habe Jan Haase von Greenpeace in Hamburg zum Fall Nestlé und der Kritik daran befragt und er erklärt in diesem Interview, wie Greenpeace-Kampagnen ablaufen und welche wir eventuell in diesem Jahr noch zu erwarten haben : Im März und April hat Greenpeace mit einer Social-Media-Kampagne den Lebensmittelkonzern Nestlé dazu aufgefordert seine Einkaufspolitik umweltgerechter zu gestalten und im Speziellen Palmöl ausschließlich aus nachhaltiger Gewinnung zu beziehen.

 

Was war das Ziel der Kampagne, was ist seitdem bei Nestlé geschehen und hat die Kampagne ihr Ziel erreicht?

 

Jan Haase: „Ziel der Kampagne war: Über den wichtigen Abnehmer eines Produktes sollte Druck auf dessen Produzenten ausgeübt werden, damit dessen problematische Herstellungsmethoden enden. Konkret: Nestlé – bisher ein wichtiger Abnehmer von Palmöl aus zerstörten Regenwaldgebieten Indonesiens – soll alle seine direkten und indirekten Geschäftsbeziehungen zum uneinsichtigen Palmölproduzenten Sinar Mas beenden.

 

Die Social-Media-Kampagne war dabei nur der Höhepunkt einer langen Arbeit zu dem Thema. Greenpeace spricht seit mehreren Jahren mit Produzenten und Abnehmern von Palmöl über den Schutz der letzten indonesischen Regenwälder vor zerstörerischen Anbaumethoden.

 

Neue Palmölplantagen gehören zu den größten Bedrohungen dieser auch für das Weltklima wichtigen Wälder. Größter Palmölproduzent des Landes ist die Sinar-Mas-Gruppe. Der Konzern hat die größten Expansionspläne in bisher unberührte Urwaldgebiete Indonesiens – und die indonesische Regierung ließ Sinar Mas bisher dabei völlig freie Bahn.

 

Große Lebensmittelkonzerne wie Unilever und Kraft haben aufgrund der Informationen, die sie über die umweltschädlichen Praktiken von Sinar Mas erhalten haben, ihre Lieferverträge schon im vergangenen Jahr gekündigt. Der Branchenriese Nestlé weigerte sich, diesen Schritt zu gehen. Genau dazu wollten wir das Unternehmen mit unserer Social-Media-Kampagne bewegen – und das hat jetzt ja auch funktioniert.

 

Wir haben unser Ziel diese Woche erreicht: Nestlé hat einen Aktionsplan vorgestellt, nach dem zukünftig kein Palmöl mehr aus Urwaldzerstörung bei den Lieferanten geduldet wird. Sinar Mas und die indonesische Regierung haben jetzt ein eindeutiges Signal erhalten: Die drei größten Lebensmittelkonzerne haben öffentlich deutlich gemacht, dass sie kein Palmöl aus Regenwaldzerstörung mehr abnehmen werden. Der damit aufgebaute Marktdruck ist inzwischen so groß geworden, dass die indonesische Regierung handelt. Erstmals wird nun gegen Korruption im Palmölbereich vorgegangen und die bisherige Politik korrigiert.“

 

Palmöl ist ein begehrter Rohstoff, den auch Unternehmen anderer Branchen für ihre Produkte verwenden (z.B. in Kosmetikprodukten und Biodiesel) und für den Anbau werden in Indonesien und Malaysia wertvolle Regenwaldflächen zerstört – warum fordert Greenpeace nicht radikal von der Industrie, Palmöl komplett durch umweltschonendere Rohstoffe zu ersetzen?

 

Jan Haase: „Palmöl in Lebensmitteln ist nur eine Form der Verwendung. Aber in diesem Marktsegment gibt es große internationale Konzerne, deren Produkte den Endverbrauchern bekannt sind. Und damit findet sich dort auch der beste Ansatz, um öffentlichkeitswirksam auf das Problem der Regenwaldzerstörung aufmerksam zu machen.

 

Vom Erfolg in diesem Segment wird unsere weitere Arbeit zu dem Thema profitieren. Bisher wurde wenig beachtet, dass wir schon genauso lange gegen Palmöl in Agrodiesel bzw. als Brennstoff in Blockheizkraftwerken arbeiten. Jetzt ist der erste große Dominostein gefallen, der hoffentlich die anderen mitreißen wird. Für uns heißt das: die aktuelle Kampagne ist beendet, am Thema Palmöl bleiben wir dran.

 

Und für andere Branchen gilt das gleiche, wie für die Lebensmittelindustrie: Palmöl aus Regenwaldzerstörung darf nicht zum Einsatz kommen. Wichtig ist, dass die für das Thema sensibilisierten Verbraucher uns jetzt bei unserer Arbeit dazu weiter unterstützen.“

 

Insbesondere in sozialen Medien verbreiten sich Inhalte wie das KitKat-Video rasend schnell: War das Verbreitungs-Tempo der Kampagne und die heftige Reaktion der Netzgemeinde 1. vorhersehbar, 2. gewünscht oder gar beabsichtigt und 3. in Ihrem Sinne?

 

Jan Haase: „Wir haben nicht damit gerechnet, dass sich das Video so schnell verbreiten würde. Die Reaktion einiger Kommunikationsverantwortlicher bei Nestlé, die für eine Sperrung des Videos bei Youtube und die Abschaltung von Kitkat-Seiten bei Facebook sorgten, haben dann aber eine Katalysatorfunktion gehabt.

 

Die Reaktion der Webwelt und die Verbreitung des Videos – und damit unserer Botschaft – wurde dadurch deutlich beschleunigt. Der Druck auf Nestlé stieg damit schneller an, was gut für die Gesprächs- und Handlungsbereitschaft war.“

 

Kritiker werfen Greenpeace vor, mit den Kampagnen einen Sündenbock zu attackieren und andere Unternehmen, die ähnlich handeln, zu verschonen. Wie entsteht Ihrer Meinung nach dieses öffentliche Bild?

 

Jan Haase: „Häufig wird von den Medien nur über die letzte, spektakuläre Phase einer Kampagne berichtet – die öffentliche Auseinandersetzung. Jahrelange Vorgespräche mit Unternehmen und der Politik werden deshalb von einer breiten Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Aber in dieser Phase kristallisiert sich raus, wer der größte Blockierer bei der Lösung eines Umweltproblems ist, oder wer am besten als „erster Dominostein“ in einer Reihe dienen kann. Oft sind das dann im wahrsten Sinne des Wortes die „größten Pötte“.

 

Ein schönes Beispiel dafür ist unsere Kampagne gegen giftige Schiffsanstriche mit dem Stoff TBT. Wir haben vor einigen Jahren im Hamburger Hafen eine Aktion bei der Queen Mary 2 gemacht, die im Dock einen solchen Anstrich erhalten sollte. Dieser eine Anstrich war mengenmäßig zum Jahresverbrauch vernachlässigbar. Aber beim größten Kreuzfahrtschiff der Welt ist die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gewaltig. Das Problem kam so ins öffentliche Bewusstsein. Erst schwenkte die QM2-Reederei Cunard bei TBT um, heute sind TBT-freie Schiffsanstriche zum Standard geworden.

 

Hätten wir ein beliebiges Containerschiff als Ziel unserer Aktion genommen, wäre es nie so schnell zu so einer starken Entlastung der Umwelt gekommen.“

 

Hat im Fall Nestlé einer der Kritiker Sie dazu vorher befragt?

 

Jan Haase: „Soweit die Kritik aus dem PR- und Marketing-Bereich kam, haben wir davon überwiegend nur aus dem Netz erfahren. Das ist sehr schade, wenn ausgerechnet in der Kommunikationsbranche nicht vorab der Dialog gesucht wird. Wir haben aber die Möglichkeiten genutzt, um mit den Kritikern online, per Telefon oder auf Kongressen ins Gespräch zu kommen.

 

Mein Eindruck ist, dass sich das Bild von Greenpeace bei diesen Menschen dadurch auch verändert hat.“

 

Wie beurteilen Sie die Kritik an der Nestlé- und an anderen Kampagnen?

 

Jan Haase. „Um Menschen für komplexe Zusammenhänge zu interessieren, muss man ihnen einen einfachen Einstieg bieten. Das haben wir im Fall von Palmöl mit unserem Video getan.

 

Den Vorwurf der Vereinfachung muss ich aber zurückweisen: Denn verknüpft mit diesem Video war unsere gesamte, jahrelange Arbeit zum Thema mit all ihren Informationen und Lösungsansätzen. Ein weiterer häufiger Vorwurf lautet: Ihr macht nur Kampagnen, mit denen ihr Euch schmücken könnt und neue Spender bekommt. Dazu möchte ich nur zwei Kampagnen der letzten Jahre nennen, an denen ich selbst mitgearbeitet habe: „Tempolimit auf Autobahnen“ und das „Konzept für eine klimaverträgliche Dienstwagenbesteuerung“. Beides sind keine Themen, mit denen man sich in Deutschland beliebt macht – aber beim Klimaschutz hätten sie kurzfristig die größten Auswirkungen.

 

Und das ist das Hauptziel unserer Kampagnen: positive Veränderungen für die Umwelt bewirken.

 

Haben Sie in Ihren Kampagnen auch mal etwas falsch gemacht und wenn ja, wie sind Sie damit umgegangen?

 

Jan Haase: „Eine Kampagne führt man ja nicht für sich, sie ist immer ein Wechselspiel von eigenen und fremden Aktionen und Reaktionen. In der Rückschau gibt es immer Entscheidungen, die vielleicht besser anders getroffen worden wären, um erfolgreicher zu sein. Völlig falsch haben wir aber nie gelegen.“

 

Mit welcher Kritik leben Sie gern?

 

Jan Haase. „Mit jeder Kritik, die eine Lösung oder eine Alternative enthält, wie man es besser machen kann.“

 

Was würden Sie rückblickend anders machen?

 

Jan Haase: „Greenpeace ist dieses Jahr in Deutschland seit 30 Jahren aktiv. Und in dieser Zeit haben wir uns als „professionelle Weltretter“ immer schnell auf ein neues Thema gestürzt, wenn ein anderes erledigt war. Meiner Meinung nach hätten hätten wir aber viel häufiger über die erreichten Erfolge sprechen sollen. Nicht um dafür Lob einzusammeln. Sondern um den Menschen, die unsere Arbeit unterstützen, Mut zu machen und ihnen zu zeigen, dass sich der gemeinsame Einsatz lohnt. So haben wir uns oft gewundert, wenn wir gefragt wurden, ob unser Engagement denn eigentlich was bringt.“

 

Wie werden Sie Ihre Kampagnen in Zukunft gestalten? Welche Themen stehen für 2010 noch auf der Agenda und welche Kanäle werden Sie nutzen?

 

Jan Haase: „Es sind vor allem die Megaprobleme Klimawandel und Artenschwund an denen wir auch dieses Jahr weiterarbeiten. In Deutschland wird es besonders spannend im Bereich Energiepolitik. Da steht die Systementscheidung an zwischen einem Konzept, dass auf eine klimaverträgliche und nachhaltige Energieversorgung mit erneuerbaren Energien setzt, und dem Festhalten an Kohle- und Atomstrom.

 

Bei diesem Thema werden wir alle Kanäle nutzen, mit denen wir sowohl Entscheidungsträger als auch Verbraucher erreichen können.“ Es bleibt also spannend.

 

Vielen Dank an Jan Haase für seine ausführlichen Antworten!

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