Leistungsschutzrecht – was hat das mit Social Media zu tun?

(aktualisiert im Januar 2013)

 

Vom Leistungsschutzrecht habt Ihr hoffentlich bestimmt schon gehört – von den meisten Internet- und Rechtsexperten wird der Gesetzesentwurf dazu scharf kritisiert und die wenigsten machen sich ernsthaft Sorgen, dass es zu einer Gesetzesänderung kommt. Andere wiederum wissen gar nicht, dass auch sie das Leistungsschutzrecht direkt betreffen wird, wenn es denn doch kommt – auch PR-Leute, Blogger und Social Media Berater. Zeit, etwas Aufmerksamkeit dafür zu schaffen, was die Verlage mit der Bundesregierung da vorhaben.

Was ist das Leistungssschutzrecht?

Mitte Juni legte das Justizministerium einen Referentenentwurf vor, der die Leistungen von Verlegern rechtlich schützen soll. Mit dem neuen Recht hätten nur Presseverleger das Recht, ihre Erzeugnisse oder auch nur Teile davon zu veröffentlichen. Das Recht wäre auf ein Jahr begrenzt. Was sind Presseverlagserzeugnisse? Artikel, Kommentare, Bilder, was eben so in der Zeitung steht. Teile davon sind Überschriften, wie sie sich oft in URLs wiederfinden oder Textausschnitte wie beispielsweise Google Snippets. Im Moment erlauben News-Aggregatoren wie Google sich, viele dieser Presseverlagserzeugnisse mit kleinen Ausschnitten, den „Snippets“, anzuteasern. Das finden die Presseverlage total wichtig, daher betreiben sie auch SEO-Maßnahmen doof. Um Google zu verpflichten, für diese Anrisse der mühsam erarbeiten Presseverlagserzeugnisse angemessen zu bezahlen, wollen ein paar große Verlage nun dieses Leistungsschutzrecht durch die Bundesregierung beschließen lassen. Das neue Recht würde den Verlagen erlauben, gegen die rechtlich (also mit Abmahnungen) vorzugehen, die ihre Texte, Überschriften oder Bilder auf ihrer eigenen Webseite auch nur ausschnittweise zeigen – so wie Google, oder auch Rivva oder Quote.fm. Ihr merkt schon, das ist unheimlich schlau von diesen Verlagen. Private User betrifft das alles nicht, nur gewerbliche Publizisten Anbieter von Diensten mit

 

"systematischen Zugriffen  auf die verlegerische Leistung durch  Anbieter von Suchmaschinen und Anbieter von solchen

Diensten im Netz, die Inhalte entsprechend einer Suchmaschine aufbereiten, da deren Geschäftsmodell in besonderer Weise darauf ausgerichtet ist, für die eigene Wertschöpfung

auch auf die verlegerische Leistung zuzugreifen."

 

Nach Protesten wurden private User und andere Gewerbetreibende ausdrücklich ausgenommen:


"Nicht erfasst werden deshalb andere Nutzer, wie z. B. Blogger, Unternehmen der sonstigen gewerblichen Wirtschaft,

Verbände, Rechtsanwaltskanzleien oder private bzw. ehrenamtliche Nutzer."

Und wo ist dann das Problem?  

Das Leistungsschutzrecht besteht nur aus wenigen Sätzen und vielen offenen Fragen und das ist genau das Problem – es lässt nämlich ganz viele Frage offen. Selbst die Bundesregierung gibt zu, dass die dringendsten Fragen nach der Anwendung und Umsetzung in Social Networks und Aggregationsdiensten erst gerichtlich geklärt werden können.  

 

Welche Gefahren bestehen bei und für Facebook:

Wenn Facebook ermöglicht, dass User in ihren Profilen auf einen Zeitungsartikel mit Bild- und Snippet-Vorschau verlinken, verstößt Facebook theoretisch gegen das LSR. Also ist theoretisch Facebook dafür verantwortlich, den Verstoß durch User zu verhindern – entweder durch Löschen oder dadurch, dass die Vorschaufunktion beim Posten ganz abgestellt wird. Dass sich Mark Z. durch das deutsche LSR derart in sein Produkt reinreden lässt, ist zum Glück unwahrscheinlich. Sicher postet der, der sein Profil auf privat eingestellt hat. Fanpages sind es nicht. Das bedeutet für das Community Management, dass es eventuell zukünftig auf Verlinkungen zu vielen aktuellen Artikeln verzichten muss, sollte Facebook als lizenzpflichtig angesehen werden und folglich die Vorschau oder gar zur Sicherheit auch gleich die Verlinkung unmöglich machen. Wir wissen es aber noch nicht. 

 

Twitter

Twitter könnte noch am einfachsten werden, denn hier setzen die meisten von uns aufgrund der Beschränkung auf 140 Zeichen eh schon Linkverkürzer ein, die die URL zur Unkenntlichkeit verwandeln. Aber: Auch bei Twitter gibt es bei einzelnen Clients eine Bild-Vorschau. Werden bestimmte Clients in Zukunft nicht mehr verfügbar sein? Ist Twitter eine Suchmaschine, weil ich ja schließlich nach Begriffen suchen kann? Das ist alles im Gesetzentwurf nicht geregelt.

 

Recherche

Grad wir PR-Leute sind auf Recherche zu aktuellen Artikeln angewiesen. Unsere Arbeit ist ohne Google unendlich schwerer. Die Vorstellung, dass Google das Spielchen nicht mitspielt und wie in Belgien bestimmte Presseverlage einfach nicht mehr indexiert, macht unsere Arbeit zu einer Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Mit den gleichen Einschränkungen müssen Journalisten arbeiten. Damit werden die journalistische Arbeit, Blogger und andere Publizisten, ergo die Informations- und die Meinungsvielfalt und der leichte Zugang zu ihr erheblich eingeschränkt.

Aber so schlimm ist das doch gar nicht!

… sagen die Befürworter des LSR. Tatsächlich bleibt die Freiheit, zu zitieren bestehen. Ein Zitat liegt jedoch erst dann vor, wenn das Zitat unbedingt für das Verstehen des eigenen Textes notwendig ist und der eigene Text deutlich umfangreicher ist als das Zitat. Für Twitter wäre das schon mal ausgeschlossen, auch Quote.fm und Rivva könnten einpacken.

 

Doch, das ist schlimm. Aus allen oben genannten Gründen. Und weil dieses Recht Verlage in Versuchung führt, Abmahnungen über das Land zu versprühen wie Bauern Pestizide über dem Feld. Wer weiß schon, was erlaubt ist und was nicht. Das Recht sorgt nicht für Rechtssicherheit, sondern fördert die Rechtsunsicherheit, die dank der massiven Debatten um das Urheberrecht und zahlreicher Abmahnungen sowieso schon verunsichert und lähmt. Ein Leistungsschutzrecht ist kein Schritt auf dem Weg zu einer Reform des Urheberrechts, es ist ein Rückschritt. Anstatt Probleme zu lösen, schafft es neue.

 

Und wer profitiert dann davon?

Angeblich ja die Verlage. Die werden sich jedoch noch umgucken, wenn sie den Kampf gegen Google verlieren, weil Google einfach keine Lizenzen kauft oder reagiert wie in Belgien. Dazu der Einnahmenrückgang durch Reichweitenverlust, der das Verlagsangebot für Werbekunden unattraktiver macht. Nicht umsonst raten führende Juristen des Max-Planck-Instituts und der BDI vom LSR ab. Was für ein Signal an unsere Informationsgesellschaft. Welch Stolperstein für den Internetstandort Deutschland.

 

Zur Erinnerung: Die Verlage haben ihre Inhalte höchstpersönlich online frei verfügbar gemacht. Niemand hat sie gezwungen. Sie können sogar bereits heute Ihre Einträge auf Links beschränken, Google zeigt Snippets und Bildvorschauen nicht automatisch an, das wird so vom Erzeuger programmiert. Das LSR würde also den Verlag davor schützen, dass Google das verwendet, was der Verlag ihnen schenkt und dem Verlag sogar erlauben, Google dafür Geld abzuknöpfen, sollten sie das Geschenk nutzen.

 

Funfact: Mit dem Urheberrecht ist das Werk als solches bereits geschützt, das LSR begünstigt also keinesfalls die Urheber. Es dienst lediglich der einfacheren Rechtsdurchsetzung bei Verstößen und lässt die Verlage von den Einnahmen durch Lizenzen und Abmahnungen profitieren.

 

Wie geht’s denn weiter mit dem LSR?

Naja. Bisher hat Deutschland es immer noch verstanden, unnütze Gesetzesentwürfe zu kippen. Aber: Frau Merkels Regierung steht unter Druck, sie könnte mal wieder Handlungsfähigkeit beweisen wollen. Die Macht der Verlage ist groß, sehr groß. Außerdem, und das ist die größte Gefahr, ist das LSR nicht zustimmungspflichtig durch den Bundesrat. Allein die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundestag entscheidet darüber. Wann genau? Ende 2012 fand eine erste Lesung des Gesetzentwurfs im Bundestag statt, am 30. Januar tagt der federführende Rechtsausschuss. Alles weitere bestimmen die Kalender der beteiligten Gremien.

 

Man möchte meinen, dass ein Gesetz, das auf solch breiten Widerstand stößt, seinen Weg nicht findet. Aber Irrtum - aller Widerstand hat den Prozess bisher nicht aufhalten können. Nicht zuletzt unterstützt von der Merkel-Regierung: So stand eine Abstimmung über den Entwurf recht spontan am 04. Juli auf der Tagesordnung der Kabinettssitzung, als wir „Netzgemeinde“ gespannt nach Brüssel schauten, wo zur gleichen Zeit ACTA abgelehnt wurde. 

 

Der 4. Juli, als ACTA abgelehnt wurde, war ein fulminanter Tag für uns. Ein Tag, der zeigte, dass wir gehört werden. Glaubt mal nicht, dass wir jetzt still bleiben.

 

Ausführliche Analysen des Referentenentwurfs zum LSR gibt es von Rechtsanwalt Till Kreutzer auf irights.info.

  
Weitere Infos zu gibt es auf den Seiten von IGEL - der Initiative gegen ein Leistungsschutzrecht.

 

p.s.: Google soll die Verlage einfach rauswerfen und dann werden sie schon sehen, was sie davon haben? Das Szenario habe ich hier mal zuende gemalt. 

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Kommentare: 1
  • #1

    Jasperkrog (Freitag, 13 Juli 2012 14:24)

    wow! ein guter artikel & eine gute zusammenfassung. respekt!

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