Wer ist Social Media Krisen*-gefährdet? Ein Modell-Entwurf

Neulich hörte ich eine Schauspielerin in einer Talkshow sagen: „Das mit dem Internet sollte man nicht machen.“ Sie spielte auf die Kritikwelle an, die sich über Katja Riemann nach ihrem missglückten Auftritt bei „Das!“ im Internet und in Medien ergoss. Und in der Tat: Ich höre oft auch aus Unternehmen, dass sie Angst vor Social Media haben, denn wenn mal etwas schief geht... Zu viele Kritikwellen wurden in den vergangenen Monaten in den medialen Fokus gestellt, die Ausnahmen zu ängstlich als Regel interpretiert. Der irrationalen Angst gegenüber steht der reale Mensch, der mal seiner Wut im Schutz der digitalen Distanz freien Lauf lässt – und mal auch wieder nicht. Das macht ihn zugegebenermaßen etwas unberechenbar.

 

Fakt ist jedoch auch: Eine Social Media Präsenz prädestiniert nicht zum Opfer einer Kritikwelle zu werden, selbst wenn mal ein Fehler geschieht.

 

Aber warum trifft es den einen und den anderen nicht – trotz ähnlicher Fehler? Die Frage, wie wahrscheinlich es ist, dass ein Unternehmen oder ein Prominenter tatsächlich Opfer öffentlicher Kritik werden, versuche ich anhand dieses Modells zumindest im Ansatz zu beantworten – nicht als wissenschaftliche Arbeit, sondern alles auf Basis von Beobachtungen und Erfahrungen. Freue mich daher über Ergänzungen und Remixes!

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Meine These ist: Ob ein Auslöser zur Kritikwelle wird, hängt im Wesentlichen davon ab, wie belastbar das Image des Kritik-Empfängers ist und ob das Lostreten einer Welle für den Absender zu Konsequenzen führt. Ob öffentliche Kritik zu Konsequenzen beim Kritiker führt, hängt vom Grad der Beziehung ab, den Kritiker und Kritisierter pflegen. So kann eine sachliche Abhängigkeit, zum Beispiel ein Arbeitsverhältnis, oder eine emotionale Abhängigkeit wie eine Markenbindung oder Star-Verehrung vor starker und unsachlicher öffentlicher Kritik schützen.

 

Im Einzelnen:

 

Der Auslöser

Am Anfang jeder Kritik steht immer der Auslöser – und der wird immer vom Kritikempfänger produziert: Eine Lüge, eine Lücke im CSR-Programm, das Fehlverhalten eines CEOs oder ein peinlicher öffentlicher Auftritt eines Stars. Ohne einen kritikwürdigen Anlass gibt es keine Kritik. Die Unterscheidung, ob ein Auslöser relevant oder irrelevant ist, nimmt dabei der Kritisierende vor, nicht der Kritisierte – ein Umstand, den Kritisierte nicht immer begrüßen oder gar einsehen wollen.

 

Für die Entwicklung einer Kritikwelle und den Umgang mit ihr ist jedoch entscheidend, ob der Auslöser mittelbar oder unmittelbar kritisiert wird:

 

Faktor Zeit

So kann Kritik an einem Fehlverhalten, das Jahre zurückliegt und keine aktuellen Auswirkungen mehr hat, schnell wieder verstummen und wird wahrscheinlich keine kritische Schlagkraft entfalten. Beispiele hierfür sind das aktuelle Buch über Angela Merkels Leben in der DDR oder auch die Enthüllung, dass Pharma-Konzerne heimlich Medikamententests mit Todesfolge an Menschen durchgeführt haben, ohne das Einverständnis der Patienten eingeholt zu haben. Vor allem letzteres Beispiel hätte als aktuelles Ereignis sicherlich eine unüberhörbare öffentliche Empörung auslösen.

 

Faktor Initiator

Ebenfalls zu unterscheiden ist, ob der Auslöser von dem dann Kritisierten selbst ausgeht oder externe Initiatoren ein Fehlverhalten offenlegen. Äußert sich ein Politiker abfällig über Sozialhilfeempfänger, lacht ein Bank-Manager pressewirksam über Millionenbeträge als „Peanuts“, so ist der Initiator gleichzeitig der unmittelbare Auslöser, Dementi zwecklos.

 

Geht die Kritik jedoch von einem externen Initiator aus, können Lücken in dessen Glaubwürdigkeit oder seine eigenen Interessen die Kraft der Kritik dämpfen. Das Image des externen Initiators zu beurteilen, steht dem Kritisierten jedoch nicht zu: Die Klassifizierung des Absender dient lediglich zur internen Einschätzung der Wahrscheinlichkeit, wie viel Kraft die Kritikwelle aufbauen kann. Wird der externe Initiator von der Allgemeinheit als unglaubwürdig wahrgenommen, sinkt auch seine Schlagkraft.

 

Der Unterschied zwischen den Initiatoren ist vor allem bedeutend für den Umgang mit der Kritikwelle, wenn sie denn ausgelöst wird. Denn kommt sie von außen, wie es in den berühmten Fall von Greenpeace und Nestlé der Fall war, hat der Kritisierte es gleich mit mehreren Anspruchsstellern zu tun, die nicht nur Aufklärung, sondern auch Handlung erwarten. In jedem Krisenfall müssen die Anspruchsgruppen ermittelt werden, damit sie richtig angesprochen werden können: Der Aktivist ist als Kommunikationspartner dabei sicherlich anspruchsvoller als ein Gelegenheits-Konsument. Ob er nun Recht hat oder nicht.

 

Das Image des Kritik-Empfängers

Steht ein Vorwurf erst einmal im öffentlichen Raum, wird er wahrgenommen, unabhängig davon, ob er stimmt oder nicht und wer ihn ins Spiel gebracht hat. Ob der Auslöser nun jedoch zur Kritikwelle wird, hängt auch davon ab, wie es um das Image des Kritisierten bestellt ist: Die bisherige Sympathie und Glaubwürdigkeit können mit der Zeit und Nachweisbarkeit ein Schutzschild wachsen lassen, dem eine Enthüllung über einen einmaligen Fehler nicht viel anhaben kann. In diesem Fall überwiegen für den Kunden, Fan oder Wähler die vorherigen positiven Erfahrungen.

 

Erst wenn sich Fehler häufen und die Gesamtzuneigung gefährdet sind, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Auslöser zur Kritikwelle werden kann, in der sich dann viel aufgestaute Enttäuschung entlädt. Beispiele für gefährdete Unternehmen sind Apple (der Konzern steht wegen seiner Preispolitik, Produktqualität, fehlender CSR-Bemühungen und Arbeitsbedingungen beim Zulieferer Foxconn immer wieder mal mehr, mal weniger in der Kritik) sowie diverse Bekleidungshersteller, die nach dem Bekanntwerden von schweren Sicherheitsmängeln und Todesopfern sowie unmenschlicher Arbeitsbedingungen in Bangladesh aktuell im Fokus der Beobachtung stehen. Der ganz große öffentliche Sturm blieb bisher aus – jedoch dürfen sich die Marken nun auch keine Fehler mehr erlauben und müssen ihre Handlungen zur Verbesserung der Situation unter den Augen der Öffentlichkeit unbedingt konsequent fortsetzen.  

 

Ebenfalls relevant sind der Bekanntheitsgrad des Kritisierten und das öffentliche Interesse an dem Kritikfall. So kann die Kritik an einem Unternehmen aus der subjektiven Perspektive des Betroffenen heraus als katastrophal empfunden werden, die Allgemeinheit nimmt jedoch kaum Notiz. Unternehmen und vor allem Persönlichkeiten werden es nicht gern hören: Aber im Fall einer drohenden Kritikwelle ist es von Vorteil und ungemein beruhigend, wenn man sich eingestehen kann, dass das öffentliche Interesse und der eigene Bekanntheitsgrad zu gering sind, um in ernsthafte Schwierigkeiten zu geraten.

 

 

Mögliche Konsequenzen für die Initiatoren

Mir ist kein Fall bekannt, in dem Mitarbeiter eine öffentliche Kritikwelle zuungunsten ihres Arbeitsgebers ausgelöst haben. Aus gutem Grund: Die Konsequenzen wären für die Angestellten fatal. Das heißt nicht, dass Arbeitgeber nicht kritisiert werden: Es findet jedoch nicht unbedingt öffentlich, unsachlich und reichweitenstark statt. Denn der Arbeitnehmer steht in einem sachlichen Abhängigkeitsverhältnis zu seinem Arbeitgeber. Eine öffentliche Kritikwelle hat messbare, direkte und sachliche (beispielsweise finanzielle) nachteilige Konsequenzen für den Kritiker.

 

Auch Modekunden haben eine sachliche Abhängigkeit zu ihren Billigketten: Stellen sie die Modehäuser zu aggressiv an den Pranger, laufen sie Gefahr, dass sie mittelfristig auf ihre kostengünstigen Konsum verzichten müssen. Entsprechend ruhig ist es derzeit auf der Facebookseite von H&M. Im Gegenteil: Die Kunden loben den Konzern für die Unterzeichnung eines Abkommens zur Verbesserung der Produktionsbedingungen und bedienen sich dabei einer psychologischen Scheuklappen-Mechanik: Das schlechte Verhalten ignorieren, das positive loben.

 

Das Prinzip lässt sich auf Marken, Unternehmen und Persönlichkeiten übertragen. Nur ist es hier eine emotionale Abhängigkeit, die zu nicht messbaren, oft nicht direkten und nur gefühlten nachteiligen Konsequenzen führen würde. Zum Beispiel Rückzug eines Stars aus der Öffentlichkeit, Imageverlust der Lieblingsmarke, Verlust eines politischen Hoffnungsträgers durch seinen erzwungenen Rücktritt. Auch eine emotionale Bindung kann den Unterschied machen zwischen unsachlicher und sachlicher Kritik.

 

 

Die Lösung: Beziehungen

Werden von den eingangs erwähnten wenigen Unternehmen oder auch einigen Persönlichkeiten Social Media als Quell allen Übels gesehen, sind sie jedoch genau das Gegenteil: Neben sozialen Netzwerken bietet nur noch die eigene Webseite die Möglichkeit, direkt und aus erster Hand, also ohne journalistische Interpretationen oder verfälschende Kürzungen, zu sagen, was man sagen will und dabei auch noch das Image zu stärken. Social Media dienen als Reichweitenverstärker für Kritik, aber auch für Lob.

 

Social Media werden jedoch viel zu oft immer noch als Werbeplattform behandelt, auf denen Botschaften gesendet werden anstatt zuzuhören und Feedback oder gar Fragen von Interessierten ungehört bleiben. Sei es aus Ignoranz gegenüber der Web 2.0-Kultur, aus Kompetenz- oder Zeitmangel. So entstehen keine Beziehungen oder emotionale Bindungen. Doch allein die Mechanik zu nutzen, reicht nicht, der geneigte Kunde/Fan merkt genau, ob er ernsthaft beachtet wird oder nicht. Interesse und Empathie sind daher die wichtigsten Eigenschaften von Social Media Aktiven und Community Managern. Sie können auch eine Krise leichter überstehen als reine „Mechaniker“.

 

Denn war es noch nie so leicht, emotionale Bindung allein durch Aufmerksamkeit herzustellen: Fragen beantworten, Input und Komplimente anerkennen, mit den Fans und Seitenbesuchern kommunizieren: All das erlauben Social Media. Und wer einmal eine kleine persönliche Konversation mit seinem Lieblingsstar, einem großen Unternehmen oder einem berühmten Politiker geführt hat, fühlt sich als Individuum wertgeschätzt und vergisst das nicht so schnell. Wer das nicht zu leisten vermag, ist gut beraten, zumindest zu den wichtigsten Meinungsführern und Influencern gute Beziehungen aufzubauen.

 

Zusammen mit dem Aufbau eines positiven Image trägt persönliche und individuelle Kommunikation einen großen Teil dazu bei, dass große Kritikwellen ausbleiben und der Fan/Kunde bei Kritik erst einmal fragt: „Hey, was ist denn da bei Euch los? Ich habe da was gehört, stimmt das?“  

 

Ob die individuelle Kommunikation von der Marke/Organisation oder einem ihrer Vertreter ausgeht, macht meiner Meinung nach keinen Unterschied – es gibt aber die Theorie, dass Menschen weniger schnell angegriffen werden als Unternehmen. Ich glaube an den Beispielen Katja Riemann oder auch Julia Schramm (Piratenpartei) zu erkennen, dass sich diese Hemmschwelle überholt hat. Persönlichkeiten empfehle ich daher, auch eine Netiquette für Profile zu formulieren, ähnlich wie Organisationen es bereits tun. Das verhindert den Ernstfall nicht, macht aber klar, dass Grenzüberschreitungen sanktioniert werden.  

 

Ein Beispiel: Nestlé vs. Coca-Cola

Das Zusammenspiel der Faktoren lässt sich gut bei der aktuellen Kritik an der Kommerzialisierung von Wasser durch Getränkekonzerne beobachten: Während es schon wieder in erster Linie Nestlé trifft, bleibt Coca-Cola unbescholten, trotz vergleichbarer Praktiken. Wie schon damals beim Thema Palmöl greifen sich Kritiker auch hier ein Beispiel heraus, um anschaulich eine ganze Branche anzuprangern.

 

Am leichtesten geht das mit einem Unternehmen, das bei den Konsumenten zum Einen nicht emotional verankert, zum Anderen bereits durch die Greenpeace-Kampagne im Image beschädigt ist – die Facebookseite von Coca-Cola als beliebteste Marke der Welt wird wohl kaum überschwemmt von Empörungsposts, Nestlé ist das leichtere Ziel.

 

Auch die Sorge, dass es uncool werden könnte, öffentlich Coke zu trinken, hält Konsumenten davon ab, die Lieblingsmarke in den Sturm zu stellen. Nestlé hingegen ist ein anonymer Konzern hinter den Marken. Es gibt keine emotionale Bindung zu Nestlé – welche der eigenen Lieblingsprodukte zu dem Konzern gehören, ist vielen Konsumenten nicht bewusst und der Konzernname steht auch nicht auf den Verpackungen. Es ist für den Konsumenten leicht, sich gegen Nestlé zu wenden, denn er hat weder eine sachliche noch eine emotionale Beziehung zu Nestlé und er sieht keine Konsequenzen in seinem alltäglichen Konsumverhalten auf sich zukommen.

 

 

Fazit: Prävention ist alles und Social Media Präsenzen schützen.

Ob eine Person oder ein Unternehmen Opfer eines öffentlichen Entrüstungssturms werden, hängt von mehreren Faktoren ab – aber ganz sicher nicht von den Kommunikationskanälen. Im Gegenteil: Mit einer Social Media Präsenz kann der Schutzschild mit am effektivsten aufgebaut werden.

 

Die beiden zentralen Faktoren einer erfolgreichen Prävention sind

 

  1. Eine ausführliche Beschäftigung mit dem eigenen Krisen-Potenzial, wenn keine Krise in Sicht ist – denn nur dann hat das Unternehmen Zeit und den nötigen klaren Kopf, um sich wasserdicht auf den Fall der Fälle vorzubereiten.
  2. Eine ernst gemeinte Beziehungspflege zu den Anspruchs- und Zielgruppen, idealerweise auch in Social Media, denn genau dafür sind sie da – und nicht nur ein weiterer Kanal, in dem Werbung verbreitet wird.

 

Und selbst wenn bei aller Vorbereitung, weißer Weste und bester Kommunikation doch mal etwas passiert, schließlich sind wir alle nur Menschen, kann ich beruhigen: Mit einer guten Vorbereitung kann jede Persönlichkeit und jedes Unternehmen schon vorher lernen, schnell und richtig zu reagieren, so dass aus Kritikwelle kein Sturm der Entrüstung wird. Und ein bisschen Kritik kann man aushalten lernen.

 

Außerdem: An einer Kritikwelle ist bislang noch kein Unternehmen zugrunde gegangen.

 

* auch gern „Shitstorms“ genannt, ein Begriff, den ich aber gar nicht gern verwende

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