Die "Aussteiger": Krisen-Kommunikation in der Krise

Kürzlich ließ ich mich dazu hinreißen, meine Gedanken zu ein paar Gesprächen der letzten Wochen und Monate in folgender These zu bündeln:

 

Meine Timeline widersprach heftig (und teilweise ja vollkommen zu Recht), so dass ich hier etwas mehr differenziere, um meine Erkenntnisse und auch die Übereinstimmung mit den Kritikern deutlicher zu machen.

Die Macht macht was sie will

Die These bei Facebook bezieht sich vor allem auf die große Politik und große Marken, deren Kommunikation sich an Massen richtet, in der der Einzelne kein erkennbares Profil mehr hat. Schauen wir zurück auf Skandale und Krisen bei BP, Shell oder Nestlé und stellen wir Angela Merkel, Horst Seehofer und de Maizière daneben: Sie hatten alle ihre Krisen. Sie haben währenddessen mehr oder weniger kommuniziert, waren dabei mehr oder weniger aufrichtig. Geschadet hat es ihnen auf lange Sicht nicht. Sogar Theodor zu Guttenberg genoss trotz seiner in Salamischeibchen verpackten Unehrlichkeit in der Plagiatsaffäre nach dem Skandal im Volk eine höhere Beliebtheit als vorher.

 

Auch an einem Shitstorm ist bislang noch kein Unternehmen zugrunde gegangen. Es gibt Umsatz-Einbrüche, Imagekrisen und hier und da kleine Verhaltensänderungen. Erholt haben sich jedoch alle und zwar ganz unabhängig davon, ob sie sich an die goldenen Regeln der Krisen-Kommunikation gehalten haben oder nicht. Den Mächtigen, die Krisen aussitzen, hilft unsere Medienlandschaft: Viel zu schnell verschwinden die Themen wieder von der öffentlichen Bildfläche und werden durch neue Skandale ersetzt, zu viele Fragen werden nie wieder gestellt und folglich nie beantwortet.

 

(Und dass zu Guttenberg gehen musste, war eine politische Entscheidung, die meiner Meinung nach durch die Plagiatsaffäre zwar ausgelöst wurde, aber nicht ursächlich dafür verantwortlich war.)

Die „Aussteiger“

Genau diese Beobachtungen machen auch die „Aussteiger“ – so nenne ich diejenigen, die unempfänglich für Werbung und PR und auch für die perfekte Krisen-Kommunikation geworden sind. Sie sind es geworden, weil sie seit Jahren mit Werbung beschallt werden, die ihnen Lügen verkaufen will, die sie längst durchschaut haben. Sie haben kritisch konsumiert, bis auch „Bio“ zum Etikettenschwindel verkam. Sie haben Politik-Skandale erlebt, die den Akteuren kein Haar gekrümmt haben. Sie glauben nicht ein einziges Wahlversprechen, nicht mal mehr an einen Wandel durch Wahlen. Interviews, Statements, Dialog-Angebote – sie haben all das im Laufe der Zeit gehört, gelesen, sich beteiligt und engagiert und dabei gelernt, dass es absolut egal ist, was sie tun oder nicht tun. Die Welt wird nicht ein Stückchen besser.

 

In den Sinus Milieus sind diese durchaus intelligenten, gebildeten und eher jungen Menschen nicht zu finden. Noch nicht – denn zumindest meine Privatempirie zeigt mir, dass es immer mehr werden.

 

Die „Aussteiger“ sind kein Teil einer Masse im Kommunikationsmarkt – sie haben das System der organisierten Kommunikation ganz einfach verlassen. Für sie haben wir kein Angebot, denn selbst die ehrlichste Antwort und der ernst gemeinte Dialog entlockt ihnen maximal ein müdes Gähnen. Auch den Aussteigern gegenüber ist eine Krisen-Kommunikation unwirksam. Sie glauben eh nichts mehr.

 

(Neben den Aussteigern gibt es noch diejenigen, die jeden Tag kämpfen: Mit Krankheit, Armut, Zukunftsangst – Skandale in der selbstreferenziellen Medienwelt, Umweltprobleme und Politikerlügen prallen an ihnen ähnlich ab, wenn auch aus ganz anderen Gründen)

Und Krisen-Kommunikation macht doch Sinn – im direkten Umfeld

Und nun kommt der Teil in dem ich den Kritikern im Facebook-Thread völlig Recht gebe: Die Krisen-Kommunikation hat sich verändert. Außerhalb der Massenkommunikation, im lokalen Umfeld oder in einem Radius, der eine echte dialog-orientierte Kommunikation erlaubt, kann die solide Krisen-Bewältigung erreichen, dass Vertrauen nicht ganz verloren geht. Mit Presse-Interview und Statements auf der Webseite ist es aber nicht mehr getan.

 

Die Menschen sind heute besser informiert als je zuvor, sie fühlen einen Anspruch an Transparenz, Ehrlichkeit und bei großen Projekten sogar auf Mitsprache und Mitbestimmung. Krisen-Kommunikation kann das leisten, wenn es dem Unternehmen oder dem Politiker gelingt, sich ernsthaft auf die Menschen mit all ihren Facetten, Interessen, Ängsten und Wünschen einzulassen.

 

Dialoge sind dabei die Kommunikationsform, die den größten Erfolg versprechen. Digitale Medien, insbesondere Social Media, aber auch ganz traditionelle Veranstaltungsformate wie Info-Abende, Runde Tische oder Besichtigungen schenken Räume für Dialoge. Dabei bietet kein anderer Austausch so viel für alle Sinne wie das Gespräch von Angesicht zu Angesicht – „rich media“ nennen Experten daher den persönlichen Dialog, er ist „reich“ an Informationen und Emotionen, an Sprache und Körpersprache.

 

Dialog ist dabei keine Technik, sondern eine Haltung - als ergebnisoffener Austausch verstanden, auf Augenhöhe, auf Basis von gegenseitiger Anerkennung und dem Ziel einer gemeinsamen Lösungsfindung kann er sogar den „Aussteiger“ wieder hinter dem Ofen hervorlocken. Es wird nicht immer klappen – aber auf diese Weise muss es immer wieder versucht werden.

 

tl;dr: Krisen-Kommunikation verliert in Massenmärkten an Bedeutung. Im näheren Umfeld muss sie sich so verändern, dass sie aufgeklärte, interessierte Menschen genauso erreicht wie resignierte „Aussteiger“. Ernst gemeinte Dialog-Angebote können das schaffen.   

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